Schwein auf der Leiter
Erinnerungen an das Hausschlachten in der Gröninger Region
(die gesamte Serie wurde uns zur Verfügung gestellt vom Verfasser Ralf Staufenbiel)
Wieder war kräftige Hilfe gefordert. Das meist über 3 Zentner (150 Kilo) schwere Schwein wurde nun an die Leiter oder an einem großen Haken, der in der Wand oder in der Decke befestigt war, angehängt. Ein guter Hausschlachter hatte schon einen Flaschenzug dabei, mit dem das Aufziehen wesentlich leichter ging. Jetzt kam ein sehr wichtiger Moment. Der Bauer oder Schweinehalter musste nun den klaren Schnaps aus dem Keller holen. Bei meist eisiger Kälte wurde auf den ersten Abschnitt des Schlachtens ein Prost angesetzt: „Wenn das Schein am Haken hängt, wird der erste eingeschenkt“ oder: „Ist das Schweinchen hakenrein, muss erst mal getrunken sein“. Ein schöner Brauch, der Generationen überlebt hat.
Frisch ab- und „eingespült“ begann der Schlachter das Schwein auszunehmen.
Zuerst wurden die Gedärme herausgenommen und in eine große Molle gelegt, Lunge und Leber wurden an die Leiter oder an eine bereitgestellte Stelle gehängt. Jetzt kam das große Hackebeil zum Einsatz; das Rückrat wurde in zwei tragbare Hälften gespalten. Während der Schlachter infolge die Därme in mühseliger Arbeit säuberte, wurde auf den Fleischbeschauer gewartet. Dieser prüfte die inneren Organe auf sichtbare Krankheiten und Seuchen. Mit einem Mikroskop untersuchte er das Fleisch unter anderem auf Trichinen, die im 19. Jh. für viele Todesfälle in unserer näheren Heimat verantwortlich waren.
Für uns als Kinder war es sehr interessant ein mal durch das Mikroskop schauen zu dürfen, obwohl wir nur „böhmische Dörfer“ sahen.War jedoch alles in Ordnung, wurde das Schwein an der glattrasierten Schwarte der Hinterkeulen mit runden Stempeln als „gesund“ gestempelt und durfte erst dann weiter verarbeitet werden. Das preussische Fleischhygienerecht war übrigens peinlich genau und sehr streng, ging es doch auch um die Volksgesundheit. Viele der Vorschriften haben heute noch volle Gültigkeit. Aufregung kam aber dennoch schon manchmal auf, wenn eine Drüse vereitert oder etwas anderes nicht in Ordnung war, dann musste nach Vorschrift aus dem gesamten Schwein Kochwurst gemacht werden. Aber! – „ist was Neues ersonnen, ist der Betrug schon gesponnen“, und so verschwand manch angegriffene Drüse aus schier unerklärlichen Gründen, auch schon vor Ankunft des Fleischbeschauers! Für die nicht ausgesprochene und heimlich geduldete Kulanz gab es dann meist einen Schnapps zusätzlich. Nun ging es aber hurtig weiter und in der Phase der Darmentnahme wurde auch die Blase des Schweines für die Blasensülze entleert, anschließend umgestülpt, gereinigt und mit dem Mund wie ein Luftballon aufgeblasen. Nicht Jedermanns Sache! Dem aber nicht genug: War sie entsprechend verarbeitbar, wurde meist eine schlachtunkundige Frau mit einem Teller herbeigerufen, um die Luft aus der Blase abzulassen. Das Gelächter war meist auf beiden Seiten und gab einem Schlachtefest die richtige Note. Die aufgeblasene Blase wurde im Allgemeinen an der frischen Luft getrocknet; oft hing sie jedoch noch am nächsten Tag, da der Alkoholspiegel so manches gute Vorhaben vergessen ließ.
War ein kräftiger, unkundiger Kerl zugegen, mußte dieser mit Sicherheit die Sülzepresse vom Nachbarn holen, was einen ähnlichen Lacheffekt wie bei der Blasenentleerung hervorrief. Der Nachbar war in vielen Fällen schon vorinformiert und hatte in einer Kiepe schwere Gegenstände eingelagert. Wer einen guten Nachbarn hatte konnte mit Bier und Schluck rechnen.